Seniorenfilme: Das Kino entdeckt das Alter: Stars zeigen in drei Filmen auf anrührende und heitere Weise, welche Möglichkeiten das Leben über 60 bietet. Was fehlt, ist künstlerischer Mut
Erschienen am 24.7.2012, Feuilleton, Augsburger Allgemeine Zeitung
Am Ende passt alles in eine Reisetasche, Erinnerungen und Unterhosen, das ganze Leben eben. Die Tristesse ist greifbar, wenn Annegret Simon (Angelica Domröse) im Seniorenheim ankommt. Da, wo für sie der nächste Lebensabschnitt beginnen soll – der letzte, wie sie bitter betont –, wartet ein karg eingerichtetes Zimmer. Doch „Bis zum Horizont, dann links!“ verharrt nicht in Trostlosigkeit. Der neue Kinofilm von Bernd Böhlich erzählt davon, wie frustrierte Heimbewohner in einer gekaperten Maschine gen Mittelmeer fliegen – und trifft damit anscheinend den Zeitgeist: Das Subgenre des tragikomischen Seniorenfilms boomt, 2012 mehr als je zuvor.
Natürlich hat es auch früher schon Kinofilme über das Altern gegeben. Neu ist in diesem Jahr, dass es innerhalb kurzer Zeit gleich drei starbesetzte Streifen sind, die auch noch erstaunlich ähnlichen Konstruktionsprinzipien unterliegen. Im Wochenabstand kamen im Frühjahr der britische Film „Best Exotic Marigold Hotel“ und der französische „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ in die Kinos. Der eine handelt von Senioren, die ins ferne Indien auswandern, der andere von früheren Hippies, die gemeinsam eine Alten-WG gründen. Mitte Juli lief nun die deutsche Variante des Themas an.
Ein völlig neuer Markt: Menschen jenseits der 60
Kino reagiert immer auch auf gesellschaftliche Veränderungen. Insofern erstaunt es in Zeiten des demografischen Wandels nicht, dass die Filmwirtschaft verstärkt Senioren anspricht. Verwunderlich ist eher, dass sie es so spät tut. Die Alten werden immer älter, immer mehr, immer vermögender. Menschen jenseits der 60, in der Marketingsprache gerne auch als „Best Ager“ bezeichnet, bilden einen völlig neuen Markt. Im Mai brachte ein Verlag die Pilot-Zeitschrift Viva! auf den Markt, der erste Bezahl-Titel in diesem Segment. Wie der Seniorenfilm will das Heft ein neues Lebensgefühl transportieren. Die Botschaft: Das Alter ist auch eine Zeit der Freiheit; mach etwas draus, trau dich, gehe ungewohnte Wege!
Erzählt wird die Geschichte über die neuen Möglichkeiten im Alter in allen Filmen von renommierten, aber in die Jahre gekommenen Bühnenstars, denen ein junges Gegengewicht zur Seite gestellt ist. Jane Fonda und Otto Sander spielen mit, Geraldine Chaplin und Ralf Wolter, Judi Dench und Guy Bedos; dazu etablierte Nachwuchsdarsteller wie Daniel Brühl als Ethnologiestudent, Anna Maria Mühe als Altenpflegerin und Dev Patel („Slumdog Millionaire“) als Hotelbesitzer.
Die Kinoproduktionen vereint, dass ihre Protagonisten aus einem gesetzten, routinierten Leben aufbrechen (müssen oder wollen), um noch einmal etwas völlig Neues zu beginnen. Dieser Umbruch verläuft naturgemäß nicht spannungs- und emotionslos. Während die einen enttäuscht und wütend sind, weil sie sich ins Heim abgeschoben fühlen, merken die anderen, wie schwierig es ist, sich mit 70 oder 80 von lieben Gewohnheiten oder gewachsenen Vorurteilen zu verabschieden.
Es ist auch für jüngere Zuschauer spannend, wie die Regisseure und Schauspieler mit grundlegenden Fragen umgehen: Was tun mit dem Gefühl, etwas versäumt zu haben? Wie ist es, sich im Alter noch einmal zu verlieben? Muss man sich fürchten vor dem Tod?
Die Weisheiten, mit denen die Filme gespickt sind, reichen manchmal allerdings nicht über die Sprüche aus Glückskeksen hinaus. „Am Ende ist alles gut, und wenn es nicht gut ist, dann ist es auch nicht das Ende“, heißt es etwa in „Best Exotic Marigold Hotel“, der so etwas wie der Wohlfühlfilm unter den dreien ist. Er betört durch sehr schöne, sehr bunte Bilder aus Indien, wunderbare Schauspieler und Szenen, die anrühren. Leider erwarten den Zuschauer auch, ähnlich wie in „Bis zum Horizont, dann links!“, ein vorhersehbarer, kitschiger Plot und eine überflüssige Liebesgeschichte unter den jungen Darstellern.
Seitensprung mit Altersflecken
Während Jane Fonda in „Und wenn wir alle zusammenziehen“ den Sarg für ihre eigene Beerdigung aussucht – nachdem sie sich gegen eine weitere Krebsbehandlung entschieden hat, sind heiklere Themen wie Demenz oder Inkontinenz in der britischen Version höchstens Nebenaspekte. Insofern lässt einen gerade „Best Exotic Marigold Hotel“ etwas ratlos zurück. Er postuliert, dass es nie zu spät ist, Neues zu wagen, zeigt selbst aber nur wenig künstlerischen Mut zu Neuem. Man denke nur – im Gegensatz – an Andreas Dresens Filme „Wolke 9“ und „Halt auf freier Strecke“. Im einen geht es um Sex und Seitensprung mit Altersflecken, im anderen um Familienleben mit Hirntumor. Es braucht weder Kitsch noch Übertreibungen, nur ein bisschen mehr Mut. Die Realität ist spannend und sehenswert genug.